zu erledigen bis: Kalenderwoche 5 (Freitag)


Hintergrundmaterial mit Aufgaben zur selbstständigen Bearbeitung.

 

Die Texte M14, M15, M15b, M16a, M16b in eurem Buch sind gute Hintergrundlektüre bzw. Auffrischung des im Unterricht Gelernten. Sie sind euch hiermit sehr ans Herz gelegt.

 

Neben den Modellen, die wir im Unterricht durchnehmen, gibt es zwei weitere Modelle, die sich einer gewissen Beliebtheit erfreuen: Soziale Lagen und die Exklusionstheorie

  1. Charakterisiere anhand von M1 bzw. M2 die beiden Modelle.
  2. Vergleiche sie mit den Klassen/Schichtmodellen bzw. den Sinus-Milieustudien.
  3. Beurteile, welche der vier Modelle am besten geeignet sind, um die Gesellschaft zu erfassen und zu analysieren.

 M1: Soziale Lagen

 

Schichtmodelle berücksichtigen im Wesentlichen "vertikale" Ungleichheiten zwischen oben und unten. Sie sind weitgehend blind für "horizontale" Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen, alt und jung, verschiedenen Generationen oder auch Regionen, Verheirateten und Ledigen, Kinderreichen und Kinderlosen. Um die Vielgestaltigkeit und Vieldimensionalität der Ungleichheitsstruktur besser zu erfassen, wurden gegen Ende der 1980er-Jahre Modelle der "sozialen Lagen" entwickelt. Sie berücksichtigen neben den vertikalen zugleich auch horizontale Ungleichheiten.

 

Die Wohlfahrtsforschung untersucht, wie materielle Ressourcen ("objektive Wohlfahrt") und "Lebenszufriedenheit" ("subjektive Wohlfahrt") über die Bevölkerung verteilt sind und verwendet dazu auch das feine Raster des Lagenmodells. So werden zum Beispiel für ein am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) benutztes Modell neben dem "vertikalen" Kriterium Berufsposition die "horizontalen" Kriterien Geschlecht, Alter (unter/über 60 Jahre) und Region (Ost/West) herangezogen. Aus der Kombination dieser vier Merkmale entstehen 64 Soziallagen, die einen relativ differenzierten Einblick in die Verteilung der materiellen Ressourcen und die Unterschiede im subjektiven Wohlbefinden der Bevölkerung vermitteln.

 

So lassen sich etwa Arbeitslose sowie Un- und Angelernte als Problemgruppen mit geringen Ressourcen, niedriger Selbsteinstufung, vielen Sorgen und einem hohen Grad an Unzufriedenheit identifizieren. Die Defizite der Un- und Angelernten sind in den neuen Bundesländern gravierender als in den alten. Den Gegenpol dazu bilden die leitenden Angestellten und höheren Beamten in Westdeutschland: Mit guten materiellen Ressourcen können sie ein relativ sorgenfreies und zufriedenes Leben führen, und sie stufen sich auf der Oben-unten-Skala mit Abstand am höchsten ein.

 

Das beispielhaft angeführte Lagenmodell macht aber auch deutlich, dass der Versuch, die Vielgestaltigkeit der Ungleichheitsstruktur gesamthaft in einem Modell einzufangen, schnell an Grenzen stößt. Obwohl in den 64 Soziallagen wichtige Ungleichheitskriterien wie Unterschiede zwischen Stadt und Land, Nationalität, Familienstand und Generation unberücksichtigt bleiben, mutet es bereits recht unübersichtlich an.

(Quelle: http://www.bpb.de/izpb/198045/facetten-der-modernen-sozialstruktur?p=all)


M2: Exklusion/Inklusion

 

Das Modell von Exklusion und Inklusion ist das jüngste der vier Modelle [Klassen/Schichten, Milieus, Lagen, Exklusion]. Sein zentrales Konzept der Exklusion – auf Deutsch am besten mit "soziale Ausgrenzung" wiedergegeben – begann seine Karriere in den 1990er-Jahren in Frankreich bei der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der sogenannten neuen Armut, der Arbeitslosigkeit und der räumlichen Segregation. Wichtige Impulse für die weitere Ausbreitung in Europa kamen aus dem politischen Raum: Seit den 1990er-Jahren kämpft die Kommission der Europäischen Union gegen die "social exclusion". Diese fortdauernden Bemühungen wurden unter anderem daran sichtbar, dass das Jahr 2010 zum "Europäischen Jahr gegen Armut und Ausgrenzung" ausgerufen wurde. Die deutsche Sozialforschung reagierte mit einiger Verzögerung, aber seit Ende der 1990er-Jahre greift auch sie das Konzept der Exklusion häufiger auf (z. B. Martin Kronauer 2010) und verwendet es in zahlreichen, zum Teil umstrittenen Varianten.

Vom Klassen-Schichten-Modell unterscheidet sich das Exklusion-Inklusion-Modell in drei wesentlichen Punkten:

 

  • Im Zentrum steht nicht die vertikale Aufteilung der Gesellschaft in oben, Mitte und unten, sondern die beiden Pole drinnen und draußen. Es geht nicht darum, wer wo in der Gesellschaft steht, sondern darum, wer "drinnen" oder "draußen" ist.
  • Soziale Ungleichheit wird nicht – wie im vertikalen Modell und im Modell der sozialen Lagen – als graduell abgestufte Ungleichheit zwischen verschiedenen Schichten, Geschlechtern, Altersgruppen oder anderen Gruppen erfasst, sondern im Zentrum der Analyse steht ein gesellschaftlicher Bruch, eine Spaltung der Gesellschaft in Zugehörige und Ausgeschlossene, "Überzählige" (Marx), an den Rand Gedrängte. Im Fokus stehen die extrem Benachteiligten, denen ein Platz im anerkannten gesellschaftlichen Gefüge verweigert wird. Exklusion wird dabei mehrdimensional begriffen: Wichtige Dimensionen sind die Arbeitslosigkeit als Ausschluss vom Erwerbsleben, Armut sowie räumliche Ausgrenzung durch Wohnen und Leben in Armutsvierteln oder sozialen Brennpunkten. In den Blick genommen werden auch die Auflösung der sozialen Netzwerke, der Ausschluss von einer angemessenen politischen und kulturellen Teilhabe sowie psychische Folgen wie ein geschädigtes Selbstbild, lähmende Gefühle der Erniedrigung und Missachtung, der Chancen- und Perspektivlosigkeit. Es geht aber nicht nur um den Blick auf die verschiedenen Dimensionen von Exklusion, sondern auch um die Erforschung der Zusammenhänge zwischen diesen Dimensionen, ihre wechselseitige sich steigernde Verstärkung.
  • Das bipolare Modell wird häufig zu einem Drei-Zonen-Konzept erweitert, wie es der französische Soziologe Robert Castel (2000) entwickelt hat. Dieser platziert zwischen den beiden Polen Exklusion und Inklusion eine Zwischenzone und nennt sie die "Zone der sozialen Verwundbarkeit", in Deutschland in der Regel "Zone der Prekarität" genannt. Diese Zone verbindet das Drinnen mit dem Draußen. Sie lenkt den Blick auf Zonen der prekären Unsicherheit im Drinnen, auf Gruppen, deren Inklusion instabil geworden ist und die daher Gefahr laufen, ins Draußen zu rutschen und ausgegrenzt zu werden. So wird zum Beispiel in der vertikalen Struktur eine "verunsicherte Mitte" (Martin Kronauer) ausgemacht mit versperrten Aufstiegschancen, schwindender Arbeitsplatzsicherheit, zunehmenden Schwierigkeiten bei der Aufrechterhaltung des Lebensstandards und unsicheren Zukunftsaussichten der Kinder.

Im Vergleich zu den anderen Modellen hat das Exklusion-Inklusion-Modell einen stark eingeschränkten Blickwinkel. Es ist fokussiert auf eine kleine Gruppe von extrem Benachteiligten sowie auf die gesellschaftlichen Gefahrenzonen, auf Gruppen, deren Position im Drinnen prekär geworden ist. Dabei muss hervorgehoben werden, dass dieser Fokus auf extreme Benachteiligung und Prekarität von besonderer gesellschaftspolitischer Bedeutung ist.

 

Ein analytischer Vorteil des Modells besteht darin, dass es ermöglicht, Exklusionsprozesse und -risiken in vielen Bereichen der Sozialstruktur, in verschiedenen Schichten, Soziallagen und Milieus ausfindig zu machen. Das Modell kann Ausgrenzungsprozesse und -risiken erfassen, die zum Teil "quer" zur vertikalen Ungleichheitsstruktur und zur Milieustruktur liegen. Der französische Soziologe Pierre Bourdieu (1998) hat diese Sichtweise auf die Formel gebracht: "Prekarität ist überall". Exklusion passiert – wie Heinz Bude (2008) zeigt – in den Milieus der Unterprivilegierten genauso wie unter Pfarrern, Rechtsanwälten und Professoren oder unter Managern und Bankern.

 

Allerdings suggerieren diese Einzelbeobachtungen ein falsches Bild vom Umfang der Zonen von Exklusion und Prekarität auf den verschiedenen Ebenen des Gefüges der sozialen Ungleichheit. Die verarmten, in einem sozialen Brennpunkt lebenden Professoren und Banker dürften Ausnahmefälle sein, aber es gibt Zigtausende von armen, arbeitslosen Ungelernten. Quantitative Analysen belegen, dass Ausgrenzung und Prekarität sehr deutlich schichttypisch ungleich verteilt sind. Das Exklusion-Inklusion-Modell erfasst soziale Realität daher am besten, wenn es in Kombination mit dem Klassen-Schichten-Modell eingesetzt wird.

(Quelle: http://www.soziologie.uni-jena.de/soziologie_multimedia/Downloads/LSDoerre/KronauerMartinBE.pdf)