Stellt euch vor, es ist Wahl, aber niemand geht hin. Das wäre ziemlich uncool für die Demokratie, denn die Grundlage der Herrschaft des Volkes sind ja gerade Wahlen und Abstimmungen. Trotzdem
gibt es eine ganze Reihe von Menschen, die nicht wählen gehen. Dabei ist es eigentlich seltsam, dass Menschen nicht wählen gehen, weil grundsätzlich die Wahl in einer demokratischen Gesellschaft
"eine internalisierte, also eine verinnerlichte, Norm des Menschen ist. „Normen sind gesellschaftliche Verhaltensregeln, die einer […] Gruppe […] eine bestimmte Handlung
vorgeben“. Eine solche Norm ist auch die Wahlnorm mit der vorgeschriebenen Handlung: Du sollst wählen. Wählerinnen und Wähler, die sich an dieser Norm orientieren,
treffen ihre Wahlentscheidung also eher emotional als rational. Steht eine Person vor einer Wahlentscheidung, bedenkt diese, dass ein Nicht-Wählen in einer Demokratie falsch ist. Denn in einer
Demokratie dürfen die Bürgerinnen und Bürger die Parteien direkt wählen, weswegen solche Wählerinnen und Wähler sich persönlich verpflichtet fühlen, dieses Recht wahrzunehmen." (Quelle)
Deswegen ist die Wahlbeteiligung bei Bundestagswahlen auch so hoch.
Hmmm sicher? Schauen wir uns das doch mal genauer an.
Das bedeutet, dass gegenwärtig etwa ein Viertel der Wahlberechtigten nicht wählen. Eine Person in vier... das ist schon eine Menge, oder?
Aber andersrum wählen trotzdem Dreiviertel der Menschen. Also halb so wild.
Kann man so sehen, andererseits...Schauen wir uns mal die Landtagswahlen an:
Ok, da sieht's bisschen schlechter aus. Und warum gehen Menschen nicht wählen? Das ist doch doof, dann kann man ja überhaupt nicht mitentscheiden.
Dazu gibt es inzwischen viele Studien. "Die empirischen Befunde bewegen sich dabei auf zwei Ebenen. Zunächst zeigt der Vergleich mit der momentanen Situation in anderen Demokratien, dass die deutschen Beteiligungsquoten keineswegs in bedrohlicher Weise abgenommen haben. Im Allgemeinen wird vielmehr hervorgehoben, dass inzwischen auch die Deutschen ihre "Untertanenmentalität" der Fünfzigerjahre abgebaut und alte Werte hierbei an Bedeutung verloren haben. Dies gilt natürlich auch für die sogenannte Wahlpflicht. Die Modernisierungs- und die Individualisierungsprozesse schlagen auf das Wahlverhalten durch. Nichtwahl, Protestwahl und Parteienwechsel werden durchaus zu akzeptierten Alternativen. Wahlverhalten, Partizipationsverhalten und politische Kultur sind in einem Zusammenhang zu sehen." (Quelle)
Sagen wir doch, alles halb so schlimm. Im Gegenteil, es ist doch gut, dass wir keine Untertanenmentalität mehr haben.
Ja, nur gibt es auch eine Vielzahl anderer Gründe, nicht zu wählen. Infratest dimap hat für die Konrad-Adenauer-Stiftung 2022 Nichtwähler befragt und herausgefunden, dass 65% der berfragen Nichtwähler folgender Aussage zustimmen: "Es hat keinen Sinn zu wählen, weil die Parteien und Politiker doch machen, was sie wollen." 56% stimmten der Aussage zu, dass es keinen Politiker gab, dem sie ihre Stimme geben wollten. Ein Drittel geht "grundsätzlich nicht wählen" und ein Viertel geht nicht wählen, weil ihnen der Staat als Ganzes nicht gefällt. Nur 14% gaben an, dass sie zufrieden seien und deswegen nicht wählen gehen müssen. (Quelle)
Oha! Das ist beunruhigender. Aber Herr Lauber, Sie versuchen uns schon wieder zu veräppeln. Wenn wir die Prozente zusammenzählen, kommt da viel mehr als 100% raus. Da kann doch was nicht stimmen.
Bei der Umfrage waren Mehrfachnennungen möglich.
Oh. Ähm. Na dann.
Was bedeutet es nun, wenn das die Gründe sind?
Hmmm, dass Politikverdrossenheit und auch Ablehnung der Demokratie wichtige Gründe für Nichtwähler sind?
Ja, zumindest legen die Zahlen das nahe. Das Nichtwählen ist dann dadurch eine Form des Protestes gegen die aktuelle Politik oder gegen das System.
Wie eine Art Boykott? So, wie wenn man keine Produkte einer bestimmten Marke mehr kauft, weil die Arbeitsbedingungen da so schlecht sind?
Das ist ein guter Vergleich. Einer ganzen Reihe von Menschen ist es aber auch einfach völlig egal, wer die Wahl gewinnt. In ihrer Vorstellung ändert sich dadurch sowieso nichts an den persönlichen Lebensumständen. Diese Politikferne ist ein weiterer wichtiger Grund für das Nichtwählen. Aber was für Auswirkungen hat es denn, wenn die Wahlbeteiligung niedrig ist?
Naja, zum einen wird der Wille der Bevölkerung nicht widergespiegelt. Und dadurch verliert das System als Ganzes... ähm... Legitimat... ne, Legitimität!
Richtig. Sehr gut. Und was, wenn vor allem bestimmte Bevölkerungsgruppen nicht wählen gehen?
Hmmm, dann werden deren Interessen ja nicht beachtet. Aber warum führt man dann nicht einfach eine Wahlpflicht ein? Das gibt's doch in anderen Staaten!
Ja, gibt es. In Luxemburg zum Beispiel und auch in Australien. Ihr könnt aber die Frage selber beantworten.... Wahlen müssen bei uns wie sein?
Äh gerecht?
Hmpf. Ja. Aber ich meine was anderes. Denkt an die Handvoll Wahlrechtsgrundsätze...
Ahhhhhh ja allgemein, gleich, unmittelbar, geheim und... frei. Ok. Ne Wahlpflicht wäre dann nicht mehr frei...
Zumindest nicht mehr ganz. Es kommt auf die Ausgestaltung an, da gibt es schon Möglichkeiten. Aber wisst ihr was?
Was?
Das wäre doch eine schöne Streitfrage für euren Unterricht, oder? Soll in Deutschland eine Wahlpflicht eingeführt werden?
Yes! Wir sagen's unserer Lehrkraft!