Politische Teilhabe


Der zweite Bereich des Schwerpunktthemas Politisches System ist ein ziemlich großer. Er beschäftigt sich mit der Frage, wie konkret politische Herrschaft in Deutschland legitimiert wird und welche Teilhabemöglichkeiten für Bürger*innen es gibt. Zusätzlich geht es auch darum, wie Demokraite und Teilhabe weiterentwickelt werden kann.

 

Dabei gibt der Bildungsplan ganze elf (!) Subbereiche vor:

  1. Das Wahlsystem zum Bundestag mit reinen Mehrheits- und Verhältniswahlsystemen in anderen Staaten vergleichen
  2. Das Wahlsystem zum Bundestag bewerten
  3. Wahlverhalten anhand der Rational-Choice-, der soziologischen und der individualpsychologischen Theorie erklären
  4. Ursachen des Nichtwählens beschreiben und mögliche Folgen einer geringen Wahlbeteiligung erläutern
  5. Den Zusammenhang von sozialem Status und Partizipation der Bürger erklären sowie die Folgen für die Demokratie bewerten
  6. Die Bedeutung der Medien für die politische Teilhabe erläutern
  7. Die Entstehung von Parteien und die Struktur des Parteiensystems anhand eines Modells erklären
  8. Kritik am Einfluss der Parteien auf Staat und Gesellschaft erörtern
  9. Die Erweiterung der Partizipationsmöglichkeiten um dialogorientierte Partizipationsformen und Bürgerbeteiligung erörtern
  10. Das politische System der Schweiz als halbdirekte Demokratie charakterisieren und eine Erweiterung des repräsentativen Systems Deutschlands durch plebiszitäre Elemente bewerten
  11. Möglichkeiten der Bürger, ihre Interessen in der repräsentativen Demokratie Deutschlands in den politischen Entscheidungsprozess einzubringen, bewerten

Puhhhh, das ist eine ganze Menge. Die dabei verwendeten Operatoren sind aus den Anforderungsbereichen II und III. Es geht also um eine Reorganisations- und Transferleistung, aber auch um den reflexiven Umgang mit den Themen (also der Bewertung). Genaueres dazu findet ihr, wenn ihr auf die Buttons klickt, über die ihr zu den Subbereichen kommt.

 

Es ergibt aber zunächst Sinn, den Begriff "Politische Teilhabe" genauer zu beleuchten, bevor man sich mit den einzelnen Abschnitten des Bildungsplans auseinandersetzt. Dabei habe ich ebenfalls den Themenbereich 11 mit abgedeckt. Dieser passt da nämlich schön rein. 

 

Außerdem habe ich mir erlaubt, folgende Themenbereiche zusammenzufassen (da es inhaltlich Sinn ergibt):

Themenbereiche 1 und 2

Themenbereiche 7 und 8


Was also bedeutet "politische Teilhabe" oder auch "politische Beteiligung"?

 

Nun, Teilhabe und Beteiligung sind zwei unterschiedliche Begriffe, die man zunächst ein wenig voneinander abgrenzen muss. Wir machen das, obwohl der Bildungsplan das ehrlicherweise nicht sehr stringent tut.

Wir kennen "Teilhabe" bereits als Begriff aus dem Schwerpunktthema "Sozialstaat". Dabei geht es um die Beteiligung, Mitbestimmung und das Mitwirken von Personen oder Personengruppen. 

 

Stopp... da kommt Beteiligung doch schon vor!

 

Genau. Deswegen ist es etwas verwirrend. Aber eigentlich gar nicht so arg. "Politische Teilhabe" wird einer Person ermöglicht. Man hat also die Möglichkeit zur Teilhabe oder auch nicht. Es geht also um systemische Voraussetzung für "politische Beteiligung". Um Verfahren, Regeln und institutionalisierte Abläufe. "Politische Beteiligung" geht von der Person selbst aus. Ich habe die Macht darüber, mich zu beteiligen, oder eben auch nicht. Allerdings überschneiden sich beide Begriffe auch bzw. bedingen sich gegenseitig. Wenn mir keine Teilhabe- (oder Beteiligungs-)möglichkeiten gegeben werden, habe ich auch nicht die Macht darüber, mich zu beteiligen.

 

Können wir nicht einfach beide Begriffe gleichsetzen? Das wäre einfacher.

 

Aber auch falsch. Dann können wir nämlich nicht mit Kriterien arbeiten. Es gibt Teilhabegerechtigkeit, aber es gibt keine Beteiligungsgerechtigkeit...

 

Ok, ok. Verstanden. Zumindest so halb. Auf was konzentrieren wir uns also?

 

Das kommt auf den Subthemenkomplex oben an. Aber jetzt definieren wir erst einmal "politische Beteiligung".

 

Aber ist das nicht klar?

 

Nun.... nein.

 


Definitionen für "politische Beteiligung"

Es gibt eine ganze Reihe von Definitionen für diesen Begriff.

 

Huntington und Nelson definieren Beteiligung als Aktivitäten von Bürgern, die die Entscheidungen von Regierungen beeinflussen sollen. Verba et al erweitern diese Definition um den Fakt, dass es sich entweder um eine indirekte Beeinflussung durch die Auswahl von Entscheidern oder um eine direkte durch den Einfluss auf den Entscheidungsprozess selbst handeln kann.

 

Das ist schon mal hilfreich. In der deutschen Politikwissenschaft wird aber vor allem die Definition von Max Kaase verwendet. Diese postuliert, dass unter politischer Beteiligung alle freiwilligen Tätigkeiten der Bürger zu verstehen sind, die mit dem Ziel unternommen werden, Entscheidungen auf den verschiedenen Ebenen des politischen Systems zu beeinflussen.

 

Diese Definitionen haben alle eine Gemeinsamkeit: Es geht um eine aktive Handlung (also alles von Protest, über die Mitarbeit in politischen Parteien - aber Vorsicht! Keine berufsmäßigen Handlungen! - bis bin zu Wahlen oder Unterschriftenaktionen). Darüberhinaus gibt es auch noch weitgefasste Definitionen, die auch passive Formen wie Nachrichten schauen miteinbeziehen. Dies scheint mir jedoch deutlich zu weit gefasst. Konsum ist keine Beteiligung.

 

(Quellen: Samuel P. Huntington, Joan M. Nelson: No Easy Choice. Harvard University Press, Cambridge 1976. Zitiert nach Carole Jean Uhlaner: Political Participation. In: N. J. Smelser, P. B. Baltes (Hrsg.): International Encyclopedia of the Social & Behavioral Sciences. Elsevier, Amsterdam 2001, S. 11078 ff;

Sidney Verba, Norman H. Nie, Jae-on Kim: Participation and Political Equality. Cambridge University Press, Cambridge 1978. Zitiert nach Carole Jean Uhlaner: Political Participation. In: N. J. Smelser, P. B. Baltes (Hrsg.): International Encyclopedia of the Social Behavioral Sciences. Elsevier, Amsterdam 2001, S. 11078 ff.

Max Kaase: Partizipation. In: Dieter Nohlen (Hrsg.): Wörterbuch Staat und Politik. Bundeszentrale für Politische Bildung, Bonn 1995, S. 521–527.)


und ja, jetzt gibt's noch ein Video zu dem Themenkomplex, bevor wir dann in den Subbereich 11 gehen: Möglichkeiten der Bürger, ihre Interessen in der repräsentativen Demokratie Deutschlands in den politischen Entscheidungsprozess einzubringen, bewerten


Bewertung der Möglichkeiten, sich in den politischen Entscheidungsprozess einzubringen

Dieser Subbereich ist quasi der Endgegner des Gesamtthemas "Politische Teilhabe". Dazu müsst ihr zunächst wissen, welche Möglichkeiten die Bürger*innen (nicht) haben, wie der politische Entscheidungsprozess in Deutschland überhaupt abläuft und was eine repräsentative Demokratie ist. Also klickt euch schön durch die ganzen Subthemen weiter oben durch...

 

Schließlich ist wichtig, dass ihr mit Kriterien arbeitet (Operator "bewerten")! Es bieten sich Kritieren wie Macht, Legitimation, Legitimität, Gerechtigkeit (Teilhabe-), Stabilität und vielleicht Freiheit an.


Damit ihr darauf gut vorbereitet seid, gibt's hier noch ein paar Lektürehinweise.

Auf dieser Seite präsentiert der "Bayrische Forschungsverbund "Zukunft der Demokratie" seine Ergebnisse aus vier Jahren Forschung. Er beleuchtet verschiedene Aspekte der politischen Partizipation aus wissenschaftlicher und z.T. empirischer Sicht. Als Grundlagenlektüre sehr zu empfehlen.

Dieser Artikel aus der Zeit ist zwar von 2017, aber aus meiner Sicht nach wie vor relevant. Es geht darum, warum und ob sich junge Menschen (wieder) in Parteien engagieren. Da Deutschland eine "Parteiendemokratie" ist, lohnt sich der Artikel allemal.

Einen Blick auf Bürgerbewegungen wirft Caroline Fetscher in ihrem Kommentar für den Tagesspiegel und in diesem kurzen Überblick für die Frankfurter Rundschau werden digitale Erweiterungen der Partizipation beleuchtet. In die gleiche thematische Kerbe schlägt der CDU Politiker Klaus Josef Riegert in seinem Beitrag für den European. Wer lieber was anhört, dem sei dieser Audio-Kommentar von Katharina Liesenberg  auf der Seite des Deutschlandfunks empfohlen, in dem sie eine  Holschuld der Politik einfordert.

 

Diese Publikation der Bertelsmannstiftung ist eher was für Lehrer*innen als Materialsammlung, aber vielleicht interessiert sie ja auch den einen oder die andere Schüler*in.